Urlaub während krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit?

Von DR. ARTUR KÜHNEL, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner

Urlaub während krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit? Das geht im deutschen Arbeitsrecht doch gar nicht! Oder doch? Kann ich einen bevorstehenden Urlaub antreten und zur Fortsetzung der Genesung nutzen? Der folgende Beitrag geht diesen Fragen nach.


Im Ausgangspunkt gilt (nach deutschem Arbeitsrecht) tatsächlich zunächst, dass sich Urlaub und krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit wechselseitig ausschließen:

  • So kann Beschäftigten, die krankheitsbedingt arbeitsunfähig sind, für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit nicht wirksam Urlaub gewährt werden. Es kommt dabei auch nicht darauf an, ob die konkrete Erkrankung Urlaubsaktivitäten und vor allem einer Erholung überhaupt entgegenstehen würde.
  • Umgekehrt gilt: Erkrankt die/der Beschäftigte während des Urlaubs und wird dadurch arbeitsunfähig, ist sie/er bereits aufgrund der Urlaubsgewährung für die Zeit des Urlaubs von der Arbeitspflicht befreit und wird eben nicht "nur" durch (!) die Erkrankung an der Arbeitsleistung gehindert. Der Urlaub wird trotz Arbeitsunfähigkeit "verbraucht". Ob die Erkrankung die (geplanten) Urlaubsaktivitäten beeinträchtigt oder gar unmöglich macht und ob eine Erholung tatsächlich möglich ist, spielt hierfür keine Rolle (Risiko der/des Beschäftigten).

In § 9 BUrlG gibt es zu der letztgenannten Fallgestaltung aber die folgende Sonderregelung: "Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, so werden die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet." Diese Sonderregelung gilt auch dann, wenn die/der Beschäftigte nach der verbindlichen Urlaubsgewährung, aber vor Urlaubsbeginn erkrankt und die Arbeitsunfähigkeit auch noch im Urlaub andauert. Aufgrund dessen, dass dann ggf. nur während eines Teils des Urlaubs Arbeitsunfähigkeit besteht und somit über § 9 BUrlG nur ein Teil des Urlaubs "gerettet" werden kann, wird vertreten, dass ein Anspruch auf Neufestlegung des gesamten Urlaub besteht (vgl. ErfK/Gallner, 23. Aufl. 2023, BUrlG § 9 Rn. 8). 

 

§ 9 BUrlG räumt den Beschäftigten de facto ein Wahlrecht ein:

  • Macht die/der Beschäftigte von § 9 BUrlG Gebrauch, erhält sie/er anstelle des Urlaubsentgelts Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG. Der "gerettete" Urlaub muss dann später neu beantragt und arbeitgeberseitig gewährt werden. Eine sog. Selbstbeurlaubung durch die/den Beschäftigten (insbesondere "Dranhängen" des Urlaubs direkt im Anschluss) ist nicht zulässig und kann ggf. sogar zur (außerordentlichen fristlosen) Kündigung führen. 
    • Die/der Beschäftigte kann von § 9 BUrlG auch dann Gebrauch machen, wenn die Erholung durch die Arbeitsunfähigkeit nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt wird, da es nur auf das Vorliegen von krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ankommt (= konkrete Erkrankung verhindert konkret geschuldete Arbeitsleitung).
    • Je nach den Umständen im Einzelfall (konkrete Erkrankung/ärztlicher Rat) können sogar auch Urlaubsaktivitäten zulässig sein.
  • Macht die/der Beschäftigte von § 9 BUrlG keinen Gebrauch, erhält sie/er weiterhin Urlaubsentgelt und keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
    • Das bedeutet rechtlich aber eben auch, dass die/der Beschäftigte trotz bestehender Arbeitsunfähigkeit Urlaub machen darf. Urlaub und krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit schließen sich in diesem Fall also nicht wechselseitig aus. Dies hat jüngst auch das LAG Mecklenburg-Vorpommern in einem anderen Zusammenhang am Rande so gesehen (Urt. v. 13.7.2023 - 5 Sa 1/23; in der Entscheidung ging es vor allem um die Erschütterung des Beweiswertes einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung): "Dem Kläger war es nicht verwehrt, seinen Urlaub für die evtl. notwendige weitere Genesung zu nutzen, anstatt sich auf § 9 BUrlG zu berufen, nachdem nachgewiesene Arbeitsunfähigkeitstage auf den Jahresurlaub nicht anzurechnen sind." 
    • Eine andere Frage ist es, ob aufgrund der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalls (insbes. Urlaubs-/Reiseaktivitäten des Arbeitnehmers) Zweifel an der (vorherigen) Arbeitsunfähigkeit begründet sein können.
DR. ARTUR KÜHNEL
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
Tel.: +49 40 34 80 99 0
E-Mail: kuehnel@vahlekuehnelbecker.de

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