Von DR. ARTUR KÜHNEL, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
Im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zählt zur Leistung der versprochenen Dienste, an welche die Vergütungspflicht anknüpft, grundsätzlich auch das vom Arbeitgeber angeordnete Umkleiden im Betrieb. Ein Tarifvertrag, der das Ob und das Wie dieser Vergütung durch Betriebsvereinbarung erlaubt, regelt selbst nicht, dass Umkleidezeiten nicht vergütungspflichtig wären. Der Nicht-Abschluss einer solchen Betriebsvereinbarung bedeutet ebenfalls nicht, dass Umkleidezeiten nicht vergütet werden.
LAG Köln, Urt. v. 01.06.2017 – 7 Sa 840/16
Das Bundesarbeitsgericht hat in zwei Urteilen Ende des Jahres 2016 (BAG, Urt. v. 26.10.2016 – 5 AZR 186/16; BAG, Urt. v. 13.12.2016 – 9 AZR 574/15) bereits entscheiden, dass zur vom Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitsleistung das Umkleiden und Zurücklegen der hiermit verbundenen innerbetrieblichen Wege gehören, wenn der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung vorschreibt, die im Betrieb an- und abgelegt werden muss, und er das Umkleiden nicht am Arbeitsplatz ermöglicht, sondern dafür eine vom Arbeitsplatz getrennte Umkleidestelle einrichtet. Solche Umkleide- und Wegezeiten muss der Arbeitgeber - mit dem "normalen" Entgelt (ggf. zzgl. etwaiger Mehrarbeitszuschläge) - vergüten, es sein denn, dass hierzu etwas anderes vereinbart ist. Durch Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag kann hierfür eine gesonderte Vergütungsregelung getroffen werden. Die Tarifvertragsparteien sind berechtigt, bestimmte Teile der Arbeitszeit - wie Umkleidezeiten - von der Vergütungspflicht des Arbeitgebers auszunehmen. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitnehmer auf Weisung des Arbeitgebers arbeitsschutzrechtlich vorgeschriebene Arbeitskleidung anlegen muss. Diese beiden Urteile des BAG wurden in diesem Blog bereits vorgestellt (siehe hierzu den Blogbeitrag Aktuelles vom BAG: Vergütungspflicht für Umkleidezeiten im Betrieb?).
Hieran knüpft das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln in einem neuen Urteil an (LAG Köln, Urt. v. 01.06.2017 – 7 Sa 840/16). In dem Fall streiten Arbeitnehmer und Arbeitgeberin über die Vergütungspflicht von Umkleidezeiten, Waschzeiten und in diesem Zusammenhang im Betrieb anfallender Wegezeiten des Arbeitnehmers.
Fall:
Die Arbeitgeberin betreibt in einem Chemiepark die weltweit größte Anlage zur Herstellung von giftiger und ätzender Monochloressigsäure. In den Arbeitsbereichen, in denen der klagende Arbeitnehmer tätig ist, fällt ferner das giftige staub- bzw. pulverförmige Natriummonochloracetat an. Zur Abwehr der von den genannten Stoffen ausgehenden Gefahren schreibt die Arbeitgeberin den Arbeitnehmern das Tragen von Schutzkleidung vor (Ganzkörperschutzanzüge und Sicherheitsschuhe). Das Anlegen der Schutzkleidung vor Schichtbeginn und das Ablegen derselben nach Schichtende erfolgt auf Anordnung der Arbeitgeberin im sog. Waschhaus. Dort können die Mitarbeiter sich nach Schichtende auch duschen oder waschen. Die Räumlichkeiten zum Umziehen und Waschen bzw. Duschen befinden sich im 2. Stock des Gebäudes, in welchem ein Aufzug nicht vorhanden ist. Die Schutzkleidung wird über der privaten Unterwäsche getragen. Die Schutzkleidung ist personalisiert. Sie darf nicht mit nach Hause genommen bzw. vom Betriebsgelände entfernt werden. Für die Reinigung der Schutzkleidung sorgt die Arbeitgeberin. Der Weg vom Waschhaus zur Betriebsstätte, in der sich die Arbeitsbereiche befinden, beträgt ca. 350 Meter. Auf ihrem Weg zum Eingang in den Chemiepark bis zur Betriebsstätte kommen die Mitarbeiter an dem Waschhaus vorbei.
Der Arbeitnehmer hat die Auffassung vertreten, seine vergütungspflichtige Arbeitszeit beginne mit dem von der Arbeitgeberin im Wege des Direktionsrechts angeordneten Umziehen im Waschhaus vor Beginn der Schicht und ende ebenfalls mit dem Umziehen im Waschhaus nach Beendigung seiner Schicht. Daraus folge, dass die Arbeitgeberin auch die Zeit zu vergüten habe, die er für den Weg vom Waschhaus zur Betriebsstätte und umgekehrt zurückzulegen habe. Schließlich falle auch die Waschzeit in die vergütungspflichtige Arbeitszeit.
Sowohl das Arbeitsgericht als auch das LAG haben dem Arbeitnehmer Recht gegeben. Das LAG hat gegen sein Urteil die Revision zum BAG wegen grundsätzlicher Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage zugelassen. Die Revision wurde auch eingelegt (unter dem Aktenzeichen 5 AZR 555/17).
Vom LAG aufgestellte Grundsätze:
Unabhängig von Detailfragen, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll, hat das LAG folgende Grundsätze aufgestellt:
Im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urt. v. 13.12.2016 – 9 AZR 574/15) zählt zur Leistung der versprochenen Dienste, an welche die Vergütungspflicht anknüpft, auch das vom Arbeitgeber angeordnete Umkleiden im Betrieb.
Zwar sind die Tarifvertragsparteien berechtigt, die Höhe des Arbeitsentgeltes zu tarifieren, was auch die grundsätzliche Befugnis einschließt, bestimmte Teile der Arbeitszeit wie z.B. Umkleidezeiten von der andererseits bestehenden Vergütungspflicht des Klägers auszunehmen (vgl. BAG, Urt. v. 13.12.2016 – 9 AZR 574/15). Ein Tarifvertrag, der es denn Betriebsparteien erlaubt, das Ob und das Wie einer Vergütung von Umkleidezeiten durch Betriebsvereinbarung zu regeln, regelt selbst aber nicht, dass Umkleidezeiten nicht vergütungspflichtig wären. Und machen die Betriebsparteien von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, ergibt sich daraus ebenfalls nicht, dass Umkleidezeiten nicht vergütet werden sollen. Enthält der Tarifvertrag hinsichtlich der Höhe der Vergütung für zu bezahlende Waschzeiten keine Öffnungsklausel für Betriebsvereinbarungen, ist die Waschzeit wie sonstige Arbeitszeit zu bezahlen.
Die vergütungspflichtige Arbeitszeit beginnt, sobald sich der Arbeitnehmer auf Weisung des Arbeitgebers beginnt umzukleiden. Das Umkleiden hat ohne schuldhaftes Zögern zu erfolgen. Der Arbeitnehmer ist aber nicht gehalten, in hektische Eile zu verfallen.
Findet der Umkleidevorgang auf Weisung des Arbeitgebers an einem Ort statt, der von der Betriebsstätte, an der die eigentliche Arbeitsleistung zu erbringen ist, räumlich entfernt ist, so gehört die notwendige Wegezeit vom Ort des Umkleidens zur Betriebsstätte ebenfalls zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit.
Der Umfang der redlicherweise benötigten Umkleide- und Wegezeiten kann im Streitfall gemäß § 287 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO durch das Gericht geschätzt werden.
Beraterhinweis: Zur generellen rechtlichen Bewertung der Vergütung von Umkleide- und Wegezeiten ist zunächst auf den Beraterhinweis im Blogbeitrag Aktuelles vom BAG: Vergütungspflicht für Umkleidezeiten im Betrieb? zu verweisen.
Das LAG Köln hat vorliegend auf die neuere Rechtsprechung des BAG ausdrücklich Bezug genommen, jedoch diese weiterentwickelt. Es hat klargestellt, das ein Ausschluss der sich nach allgemeinen Grundsätzen ergebenden Vergütungspflicht von Umkleide- und Waschzeiten sowie in diesem Zusammenhang im Betrieb anfallender Wegezeiten zwar möglich ist, ein solcher sich aber eben nicht aus einer "Nichtregelung" (vorliegend: Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung) ergibt. Der Ausschluss dieser Vergütungspflicht muss nach Ansicht des LAG klar und deutlich und somit hinreichend bestimmt zum Ausdruck gebracht werden.
Zudem hat das LAG im Anschluss an das BAG ausgeführt, dass es nicht verpflichtet ist, über die abweichenden Behauptungen der Parteien, ob der Umkleidevorgang 5 Minuten oder aber 3,5 Minuten in Anspruch nimmt, Beweis zu erheben. Es sei vielmehr von vornherein erwartbar, dass für einen derartigen Vorgang wie das Umkleiden unterschiedliche Personen nicht exakt denselben Zeitraum benötigen. Das Gericht könne den Umfang der redlicherweise benötigten Zeit insoweit schätzen.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
E-Mail: kuehnel@vahlekuehnelbecker.de
Kommentar schreiben