Vorbeschäftigungsverbot bei sachgrundloser Befristung: Änderung der Rechtsprechung in Sicht?

Von DR. ARTUR KÜHNEL, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner

Mit den Landesarbeitsgerichten (LAG) Niedersachsen und Schleswig-Holstein haben sich zwei weitere LAG bei der sachgrundlosen Befristung gegen das Bundesarbeitsgericht (BAG) gestellt. Nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG steht ein früheres Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers mit demselben Arbeitgeber einer sachgrundlosen Befristung entgegen. Nach Ansicht der beiden genannten LAG ist dieses sog. Vorbeschäftigungsverbot entgegen der Rechtsprechung des BAG zeitlich unbegrenzt.

 

LAG Niedersachsen, Urteil vom 23.05.2017 - 9 Sa 1304/16, und LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27.7.2017, 4 Sa 221/16

 


Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Jahr 2011 ist das Vorbeschäftigungsverbot bei sachgrundlosen Befristungen gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG zeitlich nicht unbegrenzt. Konkret: Nach Auffassung des BAG steht ein früheres Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers mit demselben Arbeitgeber einer sachgrundlosen Befristung dann nicht entgegen, wenn das Ende des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses mehr als drei Jahre zurückliegt (BAG, Urteil vom 6.4.2011 − 7 AZR 716/09; bestätigt in BAG, Urteil vom 21.9.2011 – 7 AZR 375/10).

 

Zur Rechtssicherheit hat dies jedoch nicht beigetragen: Nachdem bereits das LAG Baden-Württemberg dem BAG in drei Entscheidungen die Gefolgschaft verweigert hatte (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.8.2016 – 3 Sa 8/16, LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.10.2016 - 3 Sa 34/16, sowie bereits LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.9.2013 – 6 Sa 28/13), haben nun kurz hintereinander auch das LAG Niedersachsen und das LAG Schleswig-Holstein entschieden, dass ein früheres Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers mit demselben Arbeitgeber einer sachgrundlosen Befristung auch dann entgegensteht, wenn das Ende des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses mehr als drei Jahre zurückliegt. Nach Ansicht der LAG ist dieses sog. Vorbeschäftigungsverbot entgegen der Rechtsprechung des BAG zeitlich unbegrenzt. Die LAG und auch die sich zur Linie des BAG überwiegend kritisch äußernde Literatur meinen, dass weder der Wortlaut noch der Zweck oder die Entstehungsgeschichte des Gesetzes ausreichende Anhaltspunkte für eine zeitliche Begrenzung enthalten. Auch seien durchgreifende unions- oder verfassungsrechtliche Bedenken gegen ein zeitlich unbegrenztes Vorbeschäftigungsverbot nicht ersichtlich. Aufgrund der überwiegend deutlichen Kritik an der Rechtsprechung des BAG könnten Arbeitgeber auf die Wirksamkeit der Befristung auch nicht vertrauen.

 

In einem anderen, dieselbe Rechtsfrage betreffenden Verfahren hat das Arbeitsgericht Braunschweig das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Das Bundesverfassungsgericht hat über den Vorlagebeschluss noch nicht entschieden (Az. 1 BvL 7/14). Zudem ist auch eine Verfassungsbeschwerde mit demselben Streitgegenstand beim Bundesverfassungsgericht anhängig (Az. 1 BvR 1375/14). 

 

Beraterhinweis: 

Soweit ersichtlich, sind allen genannten LAG-Entscheidungen nicht rechtskräftig, sondern die Revisionsverfahren dazu beim BAG anhängig. Die entsprechenden Entscheidungen des BAG werden mit Spannung erwartet. Der Ausgang kann vor dem Hintergrund der massiven Kritik an der Rechtsprechung des BAG und vor allem auch aufgrund eines zwischenzeitlichen "Personalwechsels" im für das Befristungsrecht zuständigen 7. Senat des BAG durchaus als offen bezeichnet werden. Das bedeutet für Arbeitgeber, dass sie sich auf eine zeitliche Begrenzung des Vorbeschäftigungsverbot auf die drei Jahre vor der erneuten sachgrundlosen Befristung nicht verlassen können. Im Zweifel ist zu prüfen, ob eine Befristung mit Sachgrund darlegbar und beweisbar ist. Ansonsten gilt jedenfalls bei sachgrundlosen Befristungen, die nach der Linie der genannten LAG-Entscheidungen wegen Verstoßes gegen das Vorbeschäftigungsverbot unwirksam sein könnten, obwohl der Drei-Jahres-Abstand eingehalten worden ist: Erhebt der Arbeitnehmer rechtzeitig, d.h. innerhalb von drei Wochen nach dem vereinbarten Ende des befristeten Arbeitsvertrages Entfristungsklage (§ 17 S. 1 TzBfG )?

DR. ARTUR KÜHNEL
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
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Kommentare: 1
  • #1

    Dr. Artur Kühnel (Donnerstag, 05 Oktober 2017 10:20)

    Update: Auch die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Hessen hat sich in einem vor Kurzem ergangenen Urteil den "Rebellen"-LAG angeschlossen: "In § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ist gesetzlich ein zeitlich unbegrenztes Vorbeschäftigungsverbot geregelt. Dieses ist nicht auf frühere Arbeitsverhältnisse beschränkt, die weniger als drei Jahre zurückliegen." (LAG Hessen, Urteil vom 11.07.2017 - 8 Sa 1578/16)