BAG: Herausnahme einer Arbeitnehmer-Gruppe von Gehaltserhöhung führt zu Mitbestimmung des Betriebrats

Von DR. ARTUR KÜHNEL, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner

Die Entscheidung eines nicht tarifgebundenen Arbeitgebers, Arbeitnehmer bestimmter Geschäftsbereiche von einer Gehaltsanpassung auszunehmen, führt zu einer Änderung der im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätze und unterliegt somit dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.

 

BAG, Beschluss v. 21.2.2017 – 1 ABR 12/15

 


Der Fall: Die nicht tarifgebundene Arbeitgeberin, die in Deutschland drei Produktionsstandorte unterhält, und der Betriebsrat des Werks R. stritten über ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Gehaltserhöhungen.

 

Die Arbeitgeberin vereinbarte mit ihrem Gesamtbetriebsrat im Juni 2011 eine Gesamtbetriebsvereinbarung zum Vergütungssystem für verschiedene sog. Jobfamilien. Darin geregelt waren u.a. "Grundsätze der jährlichen Gehaltsanpassung“ sowie, dass die Arbeitgeberin jährlich das allgemeine zur Verteilung im Rahmen der Gehaltserhöhung für alle Arbeitnehmer zur Verfügung stehende Volumen bestimmt und dem Gesamtbetriebsrat mitteilt. Die Umsetzung der Gehaltserhöhungen erfolgt durch Betriebsvereinbarungen mit den örtlichen Betriebsräten. Die jeweilige Betriebsvereinbarung gilt befristet und endet mit Ablauf des 28. Februar eines jeden Jahres.

 

Nachdem arbeitgeberseitig erstmals entschieden worden ist, alle Arbeitnehmer, die einem gewissen Geschäftsbereich zugeordnet sind, von der Gehaltsanpassung für das Jahr 2014 auszunehmen, stritten die Beteiligten, ob die Arbeitgeberin den Adressatenkreis der Gehaltsanpassung mitbestimmungsfrei vorgeben kann. Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, dem Betriebsrat stehe kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu. Es handele sich um eine freiwillige Leistung, deren Adressatenkreis sie mitbestimmungsfrei vorgeben könne.  

 

Die Entscheidung: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat der Auffassung der Arbeitgeberin eine Absage erteilt.

 

Zunächst hat das BAG auf die für den Fall maßgeblichen Grundsätze verwiesen: Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung und Änderung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung, mitzubestimmen. Entlohnungsgrundsätze sind die allgemeinen Vorgaben, aus denen sich die Vergütung der Arbeitnehmer des Betriebs in abstrakter Weise ergibt. Die konkrete Höhe des Arbeitsentgelts wird nicht vom Beteiligungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG erfasst.

 

Auf Grundlage dieser Grundsätze  hat das BAG festgestellt, dass die Entscheidung, ob im Betrieb tätige Arbeitnehmer eines Geschäftsbereichs von einer Gehaltsanpassung ausgenommen werden, zu einer Änderung der im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätze führt. Dies hat zur Folge, dass sich der relative Abstand der jeweiligen Vergütungen der Arbeitnehmer des Betriebs zueinander ändert. Das wiederum ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtig.

 

Im Einzelnen hat das BAG hierzu Folgendes näher ausgeführt: Bei einer Gehaltsanpassung richtet sich die Vergütung der Arbeitnehmer vorliegend nach dem mit dem örtlichen Betriebsrat vereinbarten Verteilungsschlüssel. Dieser bildet einen Entlohnungsgrundsatz iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, nach dem sich die Höhe der Vergütung abstrakt bemisst. Gleichzeitig wird mit dem Verteilungsschlüssel der relative Abstand der einzelnen Vergütungen im Betrieb zueinander festgelegt. Wird bei einer nachfolgenden Gehaltsanpassung eine neue Betriebsvereinbarung abgeschlossen, werden damit neue generell-abstrakte Grundsätze bestimmt, nach denen sich die einzelnen Vergütungen und deren Relation zueinander bemessen. Nimmt die Arbeitgeberin Mitarbeiter eines bestimmten Geschäftsbereichs von der Umsetzung einer nachfolgenden Gehaltsanpassung im Betrieb aus, sind deren Gehälter von einer weiteren prozentualen Steigerung - wie sie dem neuen Verteilungsschlüssel entspräche - ausgeschlossen. Dies hat zugleich zur Folge, dass sich der relative Abstand der jeweiligen Vergütungen der Arbeitnehmer im Betrieb zueinander zwischen derjenigen Arbeitnehmergruppe, die von der Gehaltsanpassung ausgenommen wurden, und den übrigen Arbeitnehmern ändert. 

 

Das BAG hat auch das von der Arbeitgeberin angeführte Argument verworfen, sie könne den Adressatenkreis der Gehaltsanpassung mitbestimmungsfrei vorgeben. Zwar kann der Arbeitgeber bei einer freiwilligen Leistung laut BAG grundsätzlich mitbestimmungsfrei darüber entscheiden kann, ob er die Leistung gewährt, welchen Dotierungsrahmen er dafür zur Verfügung stellen will und an welchen Empfängerkreis er diese zu erbringen bereit ist. Die Arbeitgeberin stellt bei einer Gehaltsanpassung vorliegend jedoch nicht erstmals ein bestimmtes Volumen für einen bestimmten Leistungszweck zur Verfügung, sondern erhöht dadurch lediglich das auch schon bisher für die Vergütung der Arbeitnehmer bereitgestellte gesamte Dotierungsvolumen.

 

Beraterhinweis: In der Praxis wird immer wieder die Frage aufgeworfen, wann dem Betriebsrat in Gehaltsfragen überhaupt (und ggf. inwieweit) ein Mitbestimmungsrecht zusteht. Zwar hat das BAG in der vorliegend dargestellten Entscheidung, wie auch etwa in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2003 allgemein ausgeführt, dass der Betriebsrat bei der Lohn- und Gehaltshöhe kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat (BAG, Beschluss vom 21.1.2003 - 1 ABR 5/02). Dies gilt aber nur für sog. lineare Anpassungen. Der Betriebsrat hat jedoch dann nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen, wenn der Arbeitgeber eine geplante Gehaltserhöhung unterschiedlich verteilen will. Dieser Gedanke lag auch bereits einer Entscheidung des BAG aus dem Jahr 1994 zugrunde (BAG, Urteil vom 28.9.1994 - 1 AZR 870/93). 

DR. ARTUR KÜHNEL
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
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