Neues vom BAG: Kündigung auf Verlangen (!) des Betriebsrats und Kündigungsschutz

Von DR. ARTUR KÜHNEL, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner

Ist einem Arbeitgeber auf Antrag des Betriebsrats in einem Verfahren nach § 104 Satz 2 BetrVG rechtskräftig aufgegeben worden, einen Arbeitnehmer zu entlassen, liegt für eine ordentliche Kündigung dieses Arbeitnehmers ein dringendes betriebliches Erfordernis iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG vor.

 

BAG, Urt. v. 28.03.2017 – 2 AZR 551/16


Die klagende Arbeitnehmerin war bei dem beklagten Versicherungsunternehmen langjährig als Sachbearbeiterin beschäftigt. Ende April 2015 forderte der Betriebsrat die beklagte Arbeitgeberin unter Berufung auf § 104 BetrVG* auf, die Klägerin zu entlassen, hilfsweise sie zu versetzen. Zur Begründung verwies der Betriebsrat auf Vorfälle, die sich zwischen der Klägerin und ihren Arbeitskollegen im Oktober 2014 und Januar 2015 ereignet haben. Die Beklagte kam dem Verlangen zunächst nicht nach. In dem daraufhin vom Betriebsrat eingeleiteten Beschlussverfahren gemäß § 104 Satz 2 BetrVG gab das Arbeitsgericht der Beklagten antragsgemäß auf, die Klägerin "zu entlassen". Die Klägerin war in dem Beschlussverfahren nach § 83 Abs. 3 ArbGG angehört worden. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30. Juni 2016.

 

Gegen die Kündigung hat sich die Klägerin mit ihrer Kündigungsschutzklage gewandt. Sie hat gemeint, es liege weder ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB für die außerordentliche Kündigung vor noch sei die ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 KSchG. Beide Vorinstanzen haben festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zwar nicht durch die fristlose Kündigung aufgelöst worden ist, die gegen die ordentliche Kündigung gerichtete Klage wurde jedoch abgewiesen. Die Rechtsmittel beider Parteien blieben vor dem Bundesarbeitsgericht ohne Erfolg. Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat entschieden, dass aufgrund der - auch im Verhältnis zur Klägerin - rechtskräftigen Entscheidung des Arbeitsgerichts, wonach die Beklagte die Klägerin zu entlassen hatte, ein dringendes betriebliches Erfordernis iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG für die ordentliche Kündigung gegeben war. Dagegen war der Beklagten durch den Beschluss nicht die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgegeben worden.

 

* § 104 BetrVG lautet:

Hat ein Arbeitnehmer durch gesetzwidriges Verhalten oder durch grobe Verletzung der in § 75 Abs. 1 enthaltenen Grundsätze, insbesondere durch rassistische oder fremdenfeindliche Betätigungen, den Betriebsfrieden wiederholt ernstlich gestört, so kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung verlangen. Gibt das Arbeitsgericht einem Antrag des Betriebsrats statt, dem Arbeitgeber aufzugeben, die Entlassung oder Versetzung durchzuführen, und führt der Arbeitgeber die Entlassung oder Versetzung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung zuwider nicht durch, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass er zur Vornahme der Entlassung oder Versetzung durch Zwangsgeld anzuhalten sei. Das Höchstmaß des Zwangsgeldes beträgt für jeden Tag der Zuwiderhandlung 250 Euro.

 

Quelle: Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 28.3.2017, Nr. 19/17

 

Beraterhinweis: Ein Kündigungsverlangen des Betriebsrats nach dem genannten § 104 BetrVG, dem sich der Arbeitgeber (zunächst) verweigert, welches das Arbeitsgericht aber als berechtigt ansieht, ist in der Praxis eher selten anzutreffen. Insofern ist die (bisher nur als kurze Pressemitteilung) vorliegende Entscheidung bemerkenswert. Es ist konsequent, wenn das Bundesarbeitsgericht annimmt, dass eine (rechtskräftige) Entscheidung des Arbeitsgerichts im Verfahren nach § 104 Satz 2 BetrVG, in dem die Wirksamkeit der geforderten Kündigung vorab überprüft und eben bejaht worden ist, für eine spätere Kündigungsschutzklage bindend ist. Damit wurde eine in der Kommentarliteratur umstrittene Frage geklärt.

 

Randnotiz: In einem Fall, das vor Kurzem vom Landesarbeitsgericht Hamm (Beschl. v. 2.8.2016 – 7 TaBV 11/16) entschieden worden ist, verlangte der Betriebsrat von der Arbeitgeberin (einer GmbH) unter Berufung auf § 104 BetrVG die Entlassung des "störenden" Geschäftsführers. Das Landesarbeitsgericht Hamm hat sich dem Ansinnen verweigert und entschieden, dass die Vorschrift auf GmbH-Geschäftsführer nicht anwendbar ist.

DR. ARTUR KÜHNEL
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
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