BAG: Pflicht zur Teilnahme an einem Personalgespräch bei Krankheit?

Von DR. ARTUR KÜHNEL, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner

Ein Arbeitnehmer, der krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist, muss im Regelfall nicht auf Anweisung seines Arbeitgebers im Betrieb erscheinen, um dort an einem Personalgespräch über Beschäftigungsmöglichkeiten für ihn teilzunehmen. Ausnahmsweise muss er es aber doch, wenn dies ist aus betrieblichen Gründen unverzichtbar und der Arbeitnehmer ist dazu gesundheitlich in der Lage ist. Zudem 

  

BAG, Urt. v. 2.11.2016 – 10 AZR 596/15

 


Der Kläger war bei der Beklagten zunächst als Krankenpfleger und zuletzt - nach einer längeren unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit - befristet bis zum 31. Dezember 2013 als medizinischer Dokumentationsassistent eingesetzt. Von Ende November 2013 bis Mitte Februar 2014 war der Kläger erneut arbeitsunfähig krank. Die Beklagte lud ihn mit Schreiben vom 18. Dezember 2013 „zur Klärung der weiteren Beschäftigungsmöglichkeit“ zu einem Personalgespräch am 6. Januar 2014 ein. Der Kläger sagte unter Hinweis auf seine ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit ab. Die Beklagte übersandte ihm eine neuerliche Einladung für den 11. Februar 2014, die mit dem Hinweis verbunden war, der Kläger habe gesundheitliche Hinderungsgründe durch Vorlage eines speziellen ärztlichen Attests nachzuweisen. Auch an diesem Termin nahm der Kläger unter Hinweis auf seine Arbeitsunfähigkeit nicht teil. Daraufhin mahnte ihn die Beklagte mit Schreiben vom 18. Februar 2014 ab.

 

Die Vorinstanzen haben der auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte gerichteten Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten hatte vor dem Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg.

 

Die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers umfasst die Pflicht zur Teilnahme an einem vom Arbeitgeber während der Arbeitszeit im Betrieb angewiesenen Gespräch, dessen Gegenstand Inhalt, Ort und Zeit der zu erbringenden Arbeitsleistung ist, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht anderweitig festgelegt sind (§ 106 Satz 1 GewO) . Da der erkrankte Arbeitnehmer während der Arbeitsunfähigkeit seiner Arbeitspflicht nicht nachkommen muss, ist er grundsätzlich nicht verpflichtet, im Betrieb zu erscheinen oder sonstige, mit seiner Hauptleistung unmittelbar zusammenhängende Nebenpflichten zu erfüllen. Während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit ist es dem Arbeitgeber allerdings nicht schlechthin untersagt, mit dem erkrankten Arbeitnehmer in einem zeitlich angemessenen Umfang in Kontakt zu treten, um mit ihm im Rahmen der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen die Möglichkeiten der weiteren Beschäftigung nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit zu erörtern. Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber hierfür ein berechtigtes Interesse aufzeigt. Der arbeitsunfähige Arbeitnehmer ist jedoch nicht verpflichtet, hierzu auf Anweisung des Arbeitgebers im Betrieb zu erscheinen, es sei denn, dies ist ausnahmsweise aus betrieblichen Gründen unverzichtbar und der Arbeitnehmer ist dazu gesundheitlich in der Lage.

Nachdem die für die Unverzichtbarkeit des Erscheinens im Betrieb darlegungs- und beweispflichtige Beklagte solche Gründe nicht aufgezeigt hat, musste der Kläger der Anordnung der Beklagten, im Betrieb zu einem Personalgespräch zu erscheinen, nicht nachkommen. Die Abmahnung ist daher zu Unrecht erfolgt, weshalb der Kläger ihre Entfernung aus der Personalakte verlangen kann.

 

Quelle: Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 2.11.2016, Nr. 49/16

  

Beraterhinweis: Das Bundesarbeitsgericht hat zwar entschieden, dass der krankheitsbedingt arbeitsunfähige Arbeitnehmer im Normalfall (!) nicht zu einem Personalgespräch erscheinen muss. hierfür wurde in der Tagespresse mehrfach der Slogan "krank bleibt krank" bemüht. Das Bundesarbeitsgericht hat aber eben auch Ausnahmen für aus betrieblichen Gründen unverzichtbare Personalgespräche zugelassen, was im jeweiligen Einzelfall natürlich begründet werden muss. Zudem der Arbeitnehmer gesundheitlich zur Teilnahme am Personalgespräch in der Lage sein. Wenn der Arbeitnehmer behauptet, dies nicht zu sein, könnte es für den Arbeitgeber schwer werden, das Gegenteil anzuführen.

 

Interessant ist zudem der weitere Hinweis des Bundesarbeitsgerichts, wonach es dem Arbeitgeber nicht untersagt ist, mit dem erkrankten Arbeitnehmer in einem zeitlich angemessenen Umfang in Kontakt zu treten, um mit ihm im Rahmen der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen die Möglichkeiten der weiteren Beschäftigung nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit zu erörtern.

DR. ARTUR KÜHNEL
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Partner
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